Infiziertes Gesundheitssystem

„Es ist die Ruhe vor dem Sturm“ – so bezeichnen Pflegekräfte die aktuelle Stimmung, die in den deutschen Krankenhäusern herrscht. Gebäude werden geräumt, PatientInnen werden, wo nicht dringend erforderlich, nach Hause entlassen. Beatmungsgeräte wurden angefordert, Gesundheitspersonal wird kurzfristig umgeschult und tausende StudentInnen melden sich nach einem Aufruf der Regierung freiwillig zur Unterstützung in den Krankenhäusern.

Die kommende Zeit wird geprägt sein von den Einschränkungen und Auswirkungen der Pandemie und von den Maßnahmen, die zurzeit von Politik und Wirtschaft getroffen werden, um den weiteren Verlauf zu beeinflussen.
Deutschlandweite Maßnahmen werden getroffen: Schließungen der Kitas und Schulen, Home-Office, Schließungen von Betrieben und Einrichtungen, Restaurants, Bars und Kultureinrichtungen, Versammlungsverbote, anstehende Ausgangssperren, usw.
Begründet werden diese Maßnahmen damit, dass unser Gesundheitssystem, die Krankenhäuser und Pflegeeinrichtungen nur dann in der Lage sind, mit dem Ansturm an zusätzlichen PatientInnen und schweren Pflegefällen fertig zu werden, wenn die Dauer der Pandemie und deren Verlauf in die Länge gezogen werden.

Was in dieser Argumentation und bei diesem Vorgehen konsequent unbenannt bleibt, sind die Gründe dafür, weshalb unser Gesundheitssystem unfähig ist, adäquat darauf zu reagieren. Der Zustand in deutschen Krankenhäusern und Pflegeeinrichtungen ist nicht erst seit dem Corona-Virus und der daraus resultierenden Pandemie desolat und am Limit. Er ist Folge dessen, dass das Gesundheitssystem im Kapitalismus einer Profitlogik unterworfen wird. Das bedeutet, Entscheidungen werden anhand von betriebswirtschaftlichen Faktoren und nicht am Bedarf der Gesellschaft getroffen. Das wiederum sorgt dafür, dass das Gesundheitssystem nicht in der Lage ist, auf ein höheres PatientInnen-
Aufkommen, längere Liegezeiten und mehr Pflegebedarf zu reagieren. Besonders die Einführung der sogenannten DRGs (Diagnosis Related Groups, deutsch: diagnosebezogene Fallgruppen), also eines Klassifikationssystems für ein pauschalisiertes Abrechnungsverfahren, das PatientInnen anhand medizinischer Daten Fallgruppen zuordnet, hat weitergehend dazu geführt, dass die Behandlung von Menschen nach primär finanziellen Gesichtspunkten ausgerichtet wird.
Sparmaßnahmen, Personalstreichungen, das Schließen von kleineren Krankenhäusern bei gleichzeitig wachsenden PatientInnenzahlen und immer höherer Arbeitsbelastung sind die Folgen. Diese führen dazu, dass in diesem Gesundheitssystem keine Überkapazitäten oder „Puffer“ vorgesehen sind, weder im Normalbetrieb noch in Krisenzeiten.Mit leeren Betten und unbeschäftigten PflegerInnen verdient man eben kein Geld.

In Italien müssen ÄrztInnen und Pflegekräfte am Rande ihrer Kräfte PatientInnen versorgen und sind trotzdem mit einer Situation konfrontiert, in der nicht alle Menschen behandelt werden können. Während dort das Personal über Leben und Tod entscheiden muss, wird hierzulande von Regierung und Verantwortlichen im Gesundheitsbereich ein anderes Bild gezeichnet. Hiernach seien die anstehenden Herausforderungen zu meistern, solange die Bevölkerung nur diszipliniert ist und zuhause bleibt.
Gleichzeitig sollen Personaluntergrenzen und geltende Obergrenzen für Arbeitszeiten in der Pflege aufgehoben werden.
Dabei steht jetzt schon fest, dass auch hier in Deutschland die vorhandenen Kapazitäten innerhalb kurzer Zeit erschöpft sein und in die Knie gehen werden.

Weitergedacht bedeutet das, dass sich die Bevölkerung erst aufgrund eines marode gewirtschafteten Gesundheitssystems in einer Situation befindet, in der wir mit Quarantäne, Ausgangssperren, Versammlungsverboten, sozialer Isolation und weitreichenden gesellschaftlichen Einschränkungen gezwungen sind, auf diese Pandemie zu reagieren. Mit Sicherheit wären in einem besser aufgestellten Gesundheitssystem ebenfalls Maßnahmen zur Eindämmung dieses Virus‘ notwendig. Letztlich sind wir als Bevölkerung aber gerade dazu verdonnert, das jahrelange Abwracken unseres Gesundheitssystems auszubaden.
Auch wenn in der momentanen Situation selbsterklärend ist, dass das vorhandene Personal voll und ganz damit beansprucht ist, die Pflege und Versorgung in den Krankenhäusern, Pflegeeinrichtungen und ambulant bei PatientInnen zu Hause so gut wie möglich aufrecht zu erhalten, so muss schon jetzt klar sein: So kann und wird es nicht weitergehen!
Das Gesundheitssystem hat nicht die Aufgabe, Gewinne zu erwirtschaften.Es dient schlicht dazu, die Behandlung und Pflege von Menschen dort, wo erforderlich, auf adäquate Art und Weise zu gewährleisten.

Konkret bedeutet das, dass wir Krankenhäuser und Pflegeeinrichtungen brauchen, die ausreichend Kapazitäten für PatientInnen haben, auch in Krisenzeiten. Wir brauchen mehr Personal und zwar in allen Bereichen, die für das Gesundheitswesen relevant sind (medizinisches (Fach-)Personal, ÄrztInnen, Reinigungskräfte, Verwaltung, TechnikerInnen, Lehrkräfte, Kinderbetreuung, usw.) Wir brauchen Arbeitsbedingungen, die es Menschen ermöglichen, dauerhaft und gesund in diesen Berufen zu arbeiten. Pflegeberufe müssen aufgewertet werden, sowohl ökonomisch als auch gesellschaftlich.

Die kommenden Zeiten werden bewegte Zeiten. Die nächste Krise des Kapitalismus bahnte sich bereits an und wurde durch das Corona-Virus schlagartig vorangetrieben. Schon jetzt zeichnet sich ab, auf wessen Rücken die Folgen, Auswirkungen und Konsequenzen getragen werden sollen: Mit Kündigungen, Sparmaßnahmen und Kurzarbeit sollen die Auswirkungen der Krise auf die lohnabhängige Bevölkerung abgewälzt werden. Gleichzeitig werden zur Unternehmensrettung Summen im zwölfstelligen Bereich bereitgestellt. Wir müssen schon jetzt unsere Wut auf diejenigen bündeln, die für den heruntergekommenen Zustand und systematischen Ausverkauf unseres Gesundheitssystems verantwortlich sind!
Wir, die Menschen in Pflegeberufen, die in diesen Tagen eine neue, selten dagewesene Wertschätzung erfahren, müssen diesen Moment der Stärke nutzen, um uns zu organisieren und zu erkämpfen, was längst überfällig ist:

Eine bedarfsorientierte Ausrichtung des Gesundheitssystems mit einer starken Pflege! #nichtaufunseremruecken

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