Zur Einigung im TVÖD
Am vergangenen Samstagabend wurde die Empfehlung der Schlichtung in den Tarifverhandlungen zum Öffentlichen Dienst verhandelt. Die Tarifkommissionen der Gewerkschaft ver.di und des „Arbeitgeberverbands“ VKA haben sich in dieser Verhandlungsrunde auf ein Ergebnis geeinigt. Diese Einigung liegt nun den jeweiligen Mitgliedern vor. Die Tarifrunde im öffentlichen Dienst neigt sich also dem Ende zu. Wenn VKA und die ver.di-Mitglieder der vorgelegten Einigung zustimmen wird der Tarifvertrag unterschrieben und es wird zu keinen Streiks mehr kommen.
Als klassenkämpferische, antikapitalistische Linke die in der Tarifrunde und in der Gewerkschaft ver.di aktiv sind und waren, sehen wir die Notwendigkeit eine gemeinsame Haltung zur Einigung (und zu allem was in den nächsten Wochen noch kommen kann) zu entwickeln. Das wollen wir auf Grundlage der folgenden Einschätzungen machen, die wir hier zur Diskussion stellen.
Die Grundbausteine der Einigung sind dieselben wie schon in der vorangegangenen Schlichtungsempfehlung:
- Die steuerfreie Einmalzahlung in Höhe von insgesamt 3000€, verteilt auf 1240€ mit der Entgeltabrechnung für Juni 2023 sowie von März 2023 bis Februar 2024 monatlich 220€
(Für Auszubildende, Studierende und Praktikant:innen 620€ in Folge 110€ monatlich)
- Erhöhung der Tabellenentgelte um 200€ als Sockelbetrag erst ab dem 1. März 2024 und einer fortlaufenden Erhöhung um 5,5% (Für Auszubildende, Studierende und Praktikant:innen 150€)
- Eine Klausel, dass wenn man durch o.g. Aufstockungen nicht min. 340€ Entgeltsteigerung erreicht, die Steigerung auf 340€ gesetzt wird.
- Eine Laufzeit von 24 Monaten
Falsche Bescheidenheit?
Unserer Meinung nach schlägt sich im Ergebnis eine gewisse falsche Bescheidenheit nieder, die ihren Ursprung in der Forderung 10,5% bzw. mindestens 500€ hatte. Forderungen müssen immer daran gemessen werden, was es bräuchte um die Inflation mindestens auszugleichen.
Die Inflation zählt für uns aber seit dem letzten Tarifabschluss. Ausgehend von 2021, zusammen mit der prognostizierten Inflationsrate für 2024, kommt man dabei selbst mit den Zahlen des Statistischen Bundesamts auf bis zu 17,4 %. Die Einigung bedeutet zwar einerseits einen großen Geldgewinn, reicht aber immer noch nicht, um einen gewissen Reallohnverlust auszugleichen. Unserer Meinung nach ist es aber eine Kernaufgabe unserer Gewerkschaften die Reallöhne zu sichern und nicht ihren Schwund zu verlangsamen. Die Einmalzahlungen die der Staat hier ins Spiel gebracht hatte schlagen sich erst mal nicht auf die Tabelle nieder und sind natürlich ein Mittel in der Hand des VKA gewesen. Es ist gut sie verhandelt zu haben, es wäre besser sie zusammen mit einer tabellenwirksamen Erhöhung erkämpft zu haben die die Inflation ausgleicht.
Hier wollen wir uns an die Kolleg:innen in den Häfen, insbesondere im Hamburger Hafen erinnern, die mit gutem Beispiel vorangeschritten sind und von Beginn an einen tatsächlichen Inflationsausgleich zu ihrer Forderung gemacht haben.
Natürlich sind die Streikdynamiken im Öffentlichen Dienst anders als bei den Häfen gewesen. Aus diesem Fakt muss aber die Frage folgen: Wie können wir diese Streikdynamiken auch im Öffentlichen Dienst erreichen? Und nicht eine gewisse Zufriedenheit dass die Streikphase „endlich vorbei“ ist. Aber auch nicht eine einfache Forderung nach mehr Kampf, ohne Analyse der Dinge die verbessert oder kritisiert werden müssen. Klar ist dass es unterschiedliche Einschätzungen gibt was die Streikbereitschaft angeht und insbesondere die Kolleg:innen die streikbereit sind, durch eine Einigung demobilisiert werden.
Lasst uns also die Streikfront anschauen und gut analysieren wo wir sie verbessern müssen, und uns nicht aus Wut oder Selbstgerechtigkeit zurücklehnen. Denn die Tatsache, dass selbst im in weiten Teilen nicht profitorientierten Öffentlichen Dienst, ein Streik die „Arbeitgeber“ so sehr genervt hat dass sie über Streikverbote phantasierten und die Schlichtung einberiefen zeigt dass hier ins Schwarze getroffen wurde. Auch das in der Forderung für den Öffentlichen Dienst mit einem Festbetrag von mindestens 500€ gearbeitet wurde ist gut, denn davon profitieren diejenigen, die den Streik wesentlich tragen und das sind die Kolleg:innen der unteren Entgeltgruppen. Wenn wir aber schon wissen dass Forderungen nie vollständig erreicht werden, warum dann nicht an unseren wirklichen Bedürfnissen, nach einem echten Krisenausgleich, ansetzen? Wieso hat der Staat 100 Milliarden für die Bundeswehr und nicht für uns?
Selbst bei diesem Ergebnis, mit viel Geld auf dem Tisch müssen wir ehrlich bleiben und feststellen dass es sich immer noch um einen Reallohnverlust handelt.
Wer findet durch den Entgeltdschungel?
Im „Entgeltdschungel“ schnell einen Überblick zu gewinnen und zu behalten ist nicht unbedingt einfach. Um Tarifverträge scheint es nicht anders bestellt zu sein. Wir behaupten ein Tarifabschluss muss eigentlich möglichst unkompliziert, mindestens den Reallohn sichern.
Zu komplexe Konstruktionen sind nicht nur schwieriger zu vermitteln sondern häufig auch deshalb so komplex weil bei näherer Betrachtung auffällt, dass der Inhalt doch auch seine schlechten Seiten hat. So muss betont werden dass die steuerfreien 3000€, die im Zeitraum bis März nächsten Jahres vorgesehen sind, danach einfach leider verpuffen werden und auch nur Anteilig ausgezahlt werden. Damit fehlen die Sozialabgaben, insbesondere der Arbeitgeber bspw. in der ohnehin schon maroden öffentlichen Infrastruktur oder den Krankenkassen also in Bereichen auf die wir tagtäglich angewiesen sind. Insbesondere im Sozial- und Erziehungsdienst gibt es viele Kolleg:innen die gegen ihren Willen nur Teilzeit beschäftigt sind, und diese sehen von dem Geld ebenfalls weniger. Hier sparen die Arbeitgeber mal wieder auf dem Rücken vieler Alleinerziehender Frauen.
Streiktaktiken
Ver.di konnte in dieser Tarifauseinandersetzung einen enormen Mitgliederzuwachs entwickeln, das spricht dafür, dass durch die Belastungen der Inflation die Kampfbereitschaft gestiegen ist. Auch war der Zuspruch aus der Gesellschaft, etwa von Eltern oder Fahrgästen sehr groß. Und das trotz extremer Hetzkampagnen aus CDU, Bild, VKA oder ähnlichem. Vergleichsweise wenig Kampferfahrung ist hier auf eine zunächst sehr hohe Kampfbereitschaft getroffen. Sehr gut an dieser Runde war auch ihre Politisierung, angefangen mit der Betonung der Stellung des Öffentlichen Diensts in der Gesellschaft. Insbesondere die erneute Verbindung einer Tarifrunde mit der feministischen Bewegung und dem Frauenkampftag am 8. März ist wichtig gewesen, und auch der Versuch die Klimabewegung und die Beschäftigten des ÖPNV zusammenzubringen ging in die richtige Richtung. Das hat beides sicherlich nicht überall zu 100% geklappt, und auch hier muss untersucht werden woran das lag. Denn politische Bewegung und Politisierung von Streiks stärkt den Beschäftigten den Rücken, schärft das Bewusstsein und macht, wie man gesehen hat, Politikern, Managern und der Bild Angst. Und das ist immer gut. Insbesondere dann wenn der VKA dann das Monster des verbotenen „Politischen Streiks“ an die Wand malt um zu hetzen. Denn wieso ist dieses Monster wohl verboten?
Obendrauf war auch die Überschneidung der verschiedenen Streiks im Verkehrsbereich, eine begrüßenswerte Entwicklung. Denn wir sind eine Klasse und es ist gut wenn wir spüren dass unsere Aufteilung in Branchen und Berufe, in unterschiedliche Ebenen der Betroffenheit, uns nicht von unseren gemeinsamen Interessen nach Lohn und einem guten Leben trennt.
Auch die Entscheidung eine Tarifrunde überhaupt kämpferisch zu führen, wo doch jedes Medienhaus und jede bürgerliche Partei den sozialen Frieden wegen der Aufrüstung der Bundeswehr, des Kriegs in der Ukraine und der allgemeinen Krise predigt war die richtige Entscheidung. Füße still halten darf nie eine Alternative sein. Doch natürlich ist selbst dieses Denken (wir würden alle in einem Boot sitzen), immer wieder in gewerkschaftliche Kreise gesickert. In Dänemark hat unsere Klasse dieser falschen Linie zu verdanken, dass ein Feiertag gestrichen wurde und dass an diesem Tag durchschnittlich erwirtschaftete BIP in die Rüstung gesteckt wird. Eine Idee die auch deutsche Kapitalisten und ihre Politiker „interessant“ finden. Genau deswegen braucht es eine klassenkämpferische Haltung die Angriffe auf eine konsequente Streikposition abwehrt.
Was war da mit Erzwingungsstreik?
Seit langem war ein Erzwingungsstreik im Öffentlichen Dienst nicht so greifbar wie jetzt. Sicher ist ein Erzwingungsstreik ein Wagnis. In ver.di Kreisen wird im Zuge der Schlichtung immer wieder erwähnt dass es auch bei vergangenen Erzwingungsstreik zu „keinem besseren Ergebnis“ gekommen sei, oder sogar zu einem schlechteren. Das mag stimmen, aber was ist das gute an einem guten Ergebnis?
Sicher spielt das Geld aus einer rein gewerkschaftlichen Sicht die bestimmende Rolle. Für klassenkämpferische Linke und alle die sich für eine langandauernde, konsequente Streikpolitik einsetzen, muss aber auch der Effekt den der Streik in den Köpfen hinterlässt und hinterlassen könnte beachtet werden. Ein Erzwingungsstreik schärft auch auf lange Sicht die Fähigkeiten der Streikenden, weil Ausdauer, Organisationsmacht, Haltung und vieles mehr getestet werden. Fähigkeiten die wir als Klasse im Ganzen brauchen und uns erarbeiten müssen. Wir brauchen sie für jeden einzelnen betrieblichen Kampf und auch für viele weitere politische Auseinandersetzungen, wie etwa die Abwehr neoliberaler Reformen und Proteste gegen Aufrüstung. Ein „gutes Ergebnis“ verbessert und schärft das Bewusstsein für den politischen Klassenkampf. Und nach diesem Maß handeln die DGB-Gewerkschaften im Moment natürlich nicht.
Diese Position teilen wir offensichtlich nicht mit allen in den Gewerkschaften. Denn auch hier gibt es viele Parteikader der SPD und der Grünen, deren Haltung hier mehr als fraglich ist. Aber die Linie in Gewerkschaften ist umkämpft und wenn wir uns aktiv für mehr Streik einsetzen, gerade in Krisenzeiten, heißt das unsere Gewerkschaften kampffähiger zu machen. Und wenn man immer wieder betont dass ein Erzwingungsstreik eine lange Vorbereitung und Einstellung auf ihn erfordern würde, dann heißt das für uns nur, ihn sich auch längerfristig wirklich vorzunehmen, und ihn nicht nur als Drohung oder Mobilisierungsparole zu verwenden. Für die nächsten Runden und Kämpfe, die immer kommen werden so lange wir durch den Kapitalismus gezwungen werden uns selbst stückweise zu verkaufen, um überhaupt zu leben.
Der Staat und die Arbeitgeber
Eine Besonderheit dieser Tarifrunde war dass der Staat noch aktiver eingegriffen hat als sonst. Das Angebot der steuerfreien 3000 € verletzte unserer Meinung nach die Tarifautonomie, da hier bewusst ein beruhigendes Element in die Tarifrunden eingebracht wurde. Selbst dieser Betrag ist natürlich „zu wenig“, er hat aber trotzdem einen Effekt gezeigt und sollte mit anderen Absprachen im Kontext der „Konzertierten Aktion“ harte Streiks verhindern.
Auch saß der Staat auf der anderen Seite des Verhandlungstisches. Denn Kommunen, Bürgermeister und Städte sind nichts anderes als die Form des Staates auf unterschiedlichen Ebenen. Auch wenn man gerne so tut als würde hier nichts zusammenhängen. Wenn Schwimmbädern die Schließung drohen soll, Beiträge erhöht werden, „weil ver.di Aktive zu viel fordern“ würden oder „die Kassen leer“ seien, dann ist das natürlich geheuchelt und darf niemals ernst genommen werden. Denn die Töpfe des Staates sind durch Steuern in der Inflation extrem voll. Und trotzdem wird uns das alte Mantra des „Sparens“ gepredigt dass wir aus jeder neoliberalen Krisenpolitik kennen. Zwar gibt es keine massiven Privatisierungswellen, dennoch hat sich die Ideologie der Austerität (also der neoliberalen Spardisziplin) in den Köpfen der Manager, Beamten und Politikern festgefressen. Deshalb tun viele so als wäre dieses „Sparen“ ein Selbstzweck der irgendwie gut sei. Nur für was spart man? Für andere Ausgaben, wie Infrastrukturprojekte für Unternehmen, Bundeswehraufrüstung und Geldgeschenke an Investoren. Kurzgesagt: Fürs Kapital. Die Normalisierung des Gürtel-Enger-Schnallens wurde in dieser Tarifrunde angegriffen, und das war gut so.
Der Öffentliche Dienst wird durch den Staat natürlich (mit ach und krach) bereitgestellt um der sonstigen Verwertung zu dienen. Kinder müssen zu Arbeiter:innen erzogen werden, Kranke müssen wieder Arbeitsfähig gemacht werden, Leute müssen zur Arbeit kommen. Die seltsame Doppelrolle des Staates als Bereitsteller und gleichzeitig Kürzer des Öffentlichen Diensts muss mehr in den Fokus rücken, wenn wir eine andere Gesellschaft und einen anderen Staat wollen. Denn mit diesem Staat und seiner Logik kann man kein gutes Leben für alle machen und es schon gar nicht „verhandeln“. Das was wir jetzt tun ist kleinere Verbesserungen im Bestehenden durchsetzen und erreichtes verteidigen während wir uns für kommende Kämpfe aufbauen, organisieren und kampffähig machen. Und auch dieser Kampf hat seine Rückschläge und im wäre durch mehr Organisierung, selbstbewusstere Forderungen, Politisierung und mutigere Streikformen mehr geholfen, als durch „gutes Verhandeln“.
Das Instrument der Schlichtung muss deshalb verschwinden. Denn das Schlichtungsabkommen dient am Ende nur dazu Arbeitskämpfe zu entschärfen. Arbeitskämpfe die man durchaus auch verlieren kann, aber eben auch nie gewinnen wenn man sich nicht traut.
Ist die Einigung im Tarifstreit im öffentlichen Dienst für uns also gut oder schlecht? Wir wollen anders auf diese Frage antworten: Ein gutes Ergebnis ist für uns, nach dem Gewerkschafter Willi Bleicher, dessen Name das DGB Haus in Stuttgart trägt, eines das erkämpft und nicht verhandelt wurde. Und das gilt zumindest für uns auch wenn man in Verhandlungen dann mehr bekommen hätte: „10 Pfennig erkämpft sind besser als 11 verhandelt“.
Organisieren wir uns also für diese kommenden Kämpfe.