Im Räderwerk – Hintergrund Artikel zu Berufsverboten

Hier dokumentieren wir einen lesenswerten Hintergrundartikel zu Berufsverboten, der in der letzten Ausgabe der Roten Hilfe Zeitung von Michael Csaszkoczy veröffentlicht wurfe.

Am 28. Januar 2022 jährt sich die Verabschiedung des Radikalenerlasses. Damals, 1972, verabschiedeten die Ministerpräsidenten der Länder unter Vorsitz von Willy Brandt den „Extremistenbeschluss“. In den folgenden Jahren wurden ca. 3,5 Millionen BewerberInnen für Berufe im öffentlichen Dienst überprüft. Damals zählten auch LokomotivführerInnen, PostbotInnen und viele andere zu den Berufsgruppen, die verbeamtet wurden. Der Verfassungsschutz erhielt den Auftrag zu entscheiden, wer als „Radikaler“, als „Extremist“ oder als „Verfassungsfeind“ zu gelten hatte. Personen, die „nicht die Gewähr bieten, jederzeit für die freiheitlich demokratische Grundordnung einzutreten“, wurden aus dem öffentlichen Dienst entfernt oder gar nicht erst eingestellt.

Die Überprüfungen führten bundesweit zu etwa 11.000 Berufsverbotsverfahren, 2.200 Disziplinarverfahren, 1.256 Ablehnungen von Bewerbungen und 265 Entlassungen. Betroffen waren Kommunist*innen, andere Linke bis hin zu SPD-nahen Studierendenverbänden, die Vereinigung der Verfolgten des Naziregimes VVN-BdA und GewerkschafterInnen. In Bayern traf es auch SozialdemokratInnen und in der Friedensbewegung engagierte Menschen.

Das sind zumindest die Zahlen, die der Arbeitsausschuss „Weg mit den Berufsverboten“ allein für die folgenden Jahre zusammengetragen hat. Tatsächlich dürften die Zahlen weit größer sein. Eine offizielle Erfassung der Fälle gibt es bis heute nicht und ein großer Teil der Betroffenen sah keine Perspektive darin, den Kampf gegen die übermächtige Staatsmaschinerie aufzunehmen und sich wahlweise als „Staatsfeind“ oder als „zu Unrecht verfolgte aufrechte Demokratin“ oft jahrzehntelang durch die Medienlandschaft ziehen zu lassen. Es war die Zeit der Nachwehen des Kalten Krieges und der Aufräumarbeiten der sozialdemokratischen Regierung mit der für besiegt erklärten APO: Die Politik der Berufsverbote war das konsequente Gegenstück zu „mehr Demokratie wagen“, neuer Ostpolitik und zur 1970 erlassenen Amnestie für Demonstrationsdelikte im Rahmen von APO-Aktivitäten. Eine scheinbar aus dem Ruder zu laufen drohende Generation erhielt die Einladung, wieder mitzuspielen, bekam aber gleichzeitig deutlich gezeigt, in welchem Rahmen sich oppositionelle Politik zu bewegen hat. Dass die Kampagne der Betroffenen, die ihre Rehabilitierung und Entschädigung fordern, nur wenig Resonanz in der deutschen Öffentlichkeit findet, ist vor diesem Hintergrund nicht verwunderlich – Opfer längst vergangener und verlorener Kämpfe eben.

Aber es gibt noch einen weiteren Aspekt, der eine Rolle spielt: Häufig ist überhaupt nicht klar, was eigentlich genau mit dem „Radikalenerlass“ gemeint ist. Denn der „Extremistenbeschluss“ wie die Innenministerkonferenz ihn nannte, war ja im Grunde nur eine ministeriale Anweisung, wie mit den längst bestehenden Beamtengesetzen umzugehen sei, die bis heute ohne Abstriche gültig sind. Damals führte diese Anweisung zu einer veritablen Hexenjagd, verbunden mit einem gigantischen Machtzuwachs für den „Verfassungsschutz“, der als Inlandsgeheimdienst  faktisch weitreichende Befugnisse als Repressionsbehörde erhielt. Die Botschaft, die von dieser Hexenjagd ausging, wirkt bis heute nach: Wer eine Anstellung im Öffentlichen Dienst anstrebt, hat sich als unkritischer, ergebener Staatsdiener zu erweisen. Die Instrumente, ihn widrigenfalls nicht nur um seine Lebensperspektive und seine Erwerbsarbeit zu bringen, sondern in der Öffentlichkeit als „Verfassungsfeind“ zu brandmarken und damit politisch und persönlich zu diskreditieren, liegen unverändert bereit.

Darum lohnt es sich, einen genaueren Blick auf die politischen Aspekte des deutschen Beamtenrechts zu werfen, insbesondere auf die dem Radikalenerlass zu Grunde liegende „Gewährbieteklausel“. Dass es das bundesdeutsche Berufsbeamtentum gibt, erscheint den meisten Menschen hierzulande als Selbstverständlichkeit. Dabei waren auch die Westalliierten zunächst mehr als skeptisch, ob sie der neu zu gründenden BRD die Wiedereinführung dieser Institution des Beamtentums gestatten sollten. Robert d’Harcourt, französischer Germanist und Mitglied der Resistance, hielt im Auftrag der Alliierten in einem Gutachten fest: „Das deutsche Beamtentum arbeitet mit beneidenswerter Effizienz, allerdings im Unrecht genauso wie im Recht. Es hat nichts anderes gelernt, als sich einfach einem Räderwerk gleich zu drehen.“

Diese Zweifel wurden, wie so viele, im Zuge des beginnenden Kalten Krieges über Bord geworfen: 1950 wurde in Art. 33 Abs. 4 und 5 des Grundgesetzes festgehalten: „Das Recht des öffentlichen Dienstes ist unter Berücksichtigung der hergebrachten Grundsätze des Berufsbeamtentums zu regeln“, womit das Berufsbeamtentum wieder eingeführt war. Die „hergebrachten Grundsätze“ bestehen auch heute noch in einem in der Kaiserzeit etablierten historisierenden Rückgriff auf das Lehnswesen. Wie dereinst zwischen Lehnsherr und Lehnsmann soll zwischen Dienstherr und Beamten ein wechselseitiges Verhältnis von Dienst- und Treuepflichten herrschen, das durch eine klare hierarchische Unterordnung gekennzeichnet ist. Von Hingabe ist da ebenso die Rede wie von Wohlverhalten. Im speziellen Fall der Berufsverbote wurde auf einen Passus zurückgegriffen, der eine noch viel unrühmlichere Geschichte hat: Das von den Nazis im April 1933 erlassene „Gesetz zur Wiederherstellung
des Berufsbeamtentums“ war das erste große „Säuberungsgesetz“, das die neuen Machthaber durchsetzten. Der Historiker Saul Friedländer fasste die Stoßrichtung des Gesetzes so zusammen: „Dieses Gesetz zielte in seiner  allgemeinsten Intention darauf, die gesamte Regierungsbürokratie umzugestalten, um ihre Loyalität gegenüber dem neuen Regime sicherzustellen. Seine Ausschließungsmaßnahmen, die für mehr als zwei Millionen staatlicher und städtische Beschäftigte galten, waren gegen die politisch Unzuverlässigen, hauptsächlich Kommunisten und andere Gegner der Nationalsozialisten, und gegen Juden gerichtet.“

Wörtlich hieß es im Gesetzestext von 1933, nicht im Staatsdienst zu dulden seien Beamte „die nach ihrer bisherigen politischen Betätigung nicht die Gewähr dafür bieten, dass sie jederzeit rückhaltlos für den nationalen Staat eintreten.“ In der bundesrepublikanischen Umformulierung lautete der Text nun: Beamter darf nur sein, „wer die Gewähr dafür bietet, dass er jederzeit für die freiheitliche demokratische Grundordnung im Sinne des Grundgesetzes eintritt“. Das – so könnte mensch meinen – ist ein Unterschied ums Ganze: Hier der „nationale Staat“, dort die „freiheitlich demokratische Grundordnung“, die im ursprünglichen Rechtssinn nicht einmal an den Wortlaut der Verfassung gebunden ist, sondern nur deren inhaltlichen Kernbestand meint, wie etwa Grundrechte und die Idee der Volkssouveränität.

Tatsächlich liegt die nationalsozialistische Prägung dieses Gesetzes weniger in seiner inhaltlichen Bestimmung, sondern vielmehr in der formalen Bestimmung des „jederzeit Gewähr-Bietens“. Dieses beinhaltet nämlich zweierlei: Zum einen die Gesinnungsprognose, die nicht auf belegbare Taten abhebt, sondern auf eine innere Haltung, die den Betreffenden künftig vielleicht erst zu Taten veranlassen könnte. Zum Zweiten und daraus folgernd die Beweislastumkehr: Begründete Zweifel des Dienstherren genügen, einen Beweis muss er nicht antreten. Es liegt vielmehr am Staatsdiener jeden geäußerten Zweifel aus der Welt zu räumen. Das ist nun eine Rechtskonstruktion, die dem, was üblicherweise als Standard bürgerlich-demokratischer Rechtsstaaten gehandelt wird, erkennbar zuwiderläuft.

Um zu verstehen, wie stark die nationalsozialistische Rechtsauffassung das deutsche Beamtenrecht prägt, lohnt es sich auch, einen Blick auf die Entstehung des Begriffes „Verfassungsfeind“ zu werfen. Der erste, der gegen Ende der Weimarer Republik diesen Begriff in die Rechtswissenschaft einführte, war der spätere Kronjurist der Nazis Carl Schmitt. Ihm zufolge ist „die spezifische Unterscheidung, auf welche sich die politischen Handlungen und Motive zurückführen lassen, die Unterscheidung von Freund und Feind. Politisches Denken und politischer Instinkt bewähren sich theoretisch und praktisch an der Fähigkeit, Freund und Feind zu unterscheiden. Die Höhepunkte der großen Politik sind zugleich die Augenblicke, in denen der Feind in konkreter Deutlichkeit als Feind erkannt wird.“

Carl Schmitt gab dem Begriff Verfassungsfeind in der Endphase der Weimarer Republik seine heutige Bedeutung: Jede Verfassung habe demnach grundlegende Prinzipien, einen werthaften normativen Verfassungskern, der nicht zur Disposition demokratischer Politik stehe und deswegen nicht verhandelbar sei. Wer diesen inhaltlich bestimmten Verfassungskern gesinnungsmäßig ablehne oder politisch bekämpfe, werde zum Verfassungsfeind, auch wenn er sich formal legaler Mittel bediene. Das mutet grotesk an, bedenkt man, dass der Autor nur wenige Jahre später den neuen nationalsozialistischen Machthabern zujubelte. Für Schmitt jedoch ist das nur konsequent: Die Treue zum Staat ist für ihn in letzter Konsequenz die Treue zum Souverän, der sich gerade dadurch erweist, dass er nicht an kleinliche Gesetzesvorgaben gebunden, sondern in der Lage ist, Menschen, die er zu Feinden erklärt, außerhalb der Rechtsordnung zu stellen.

Es waren aber nicht nur Gesetzesformulierungen und Rechtsprinzipien, die eine Kontinuität zwischen der jungen Bundesrepublik und dem Naziregime begründeten. Auch das Personal, das diese Gesetze auslegte und umsetzte, war weitgehend identisch geblieben. Berufsverbotsurteile bestanden in den 1970er und 1980er Jahren zum Großteil aus wörtlichen Passagen aus einem im Mai 1975 ergangenen Beschluss des Bundesverfassungsgerichts – federführend war als Berichterstatter der Verfassungsrichter Willi Geiger, bis 1945 NSDAP-Mitglied und SA-„Rottenführer“,
der als Ankläger auch fünf Todesurteile erwirkt hatte. Geiger hatte nicht nur auf der öffentlichen Vollstreckung der Urteile bestanden, sondern auch darauf, dabei persönlich anwesend zu sein. In dem maßgeblich von ihm verfassten Verfassungsgerichtsbeschluss von 1975 hatte Geiger sein Beamtenbild damit beschrieben, die „politische Treuepflicht“ erfordere „mehr als nur formal korrekte, im Übrigen uninteressierte, kühle innerlich distanzierte Haltung gegenüber dem Staat“. Damit nimmt Geiger deutlich Bezug auf die Definition des
„Verfassungsfeindes“ nach Carl Schmitt. Diese Rechtsauffassung ist seitdem und bis heute gültige Rechtsgrundlage der einschlägigen Berufsverbotsurteile. Auch als das Verwaltungsgericht Karlsruhe die versuchte Neuauflage der Berufsverbote in meinem eigenen Fall bestätigte, wurden diese Formulierungen wiedergegeben, allerdings ohne sie als Zitat kenntlich zu machen.

Otto Köhler hat in seinem Buch „Wir Schreibmaschinentäter“ schon 1989 darauf hingewiesen, dass Geigers Argumentation im Berufsverbotsurteil bereits in seinen juristischen Ausführungen aus der Zeit des Nationalsozialismus auftaucht. Wesentliche Teile der juristischen Argumentation sind aus seiner 1940 verfassten Dissertation über die „Rechtsstellung des Schriftleiters“ übernommen, die ihm dereinst den Weg zur juristischen Karriere im Nazistaat geebnet hatte. Im Folgenden ein Zitat aus Köhlers Darstellung: „Daß diese Eigenschaften fehlen, wird zwar ohne besondere Gründe noch nicht geschlossen aus der früheren Zugehörigkeit zu einer politischen Partei, wohl aber aus einer bis in die Tage der ‚nationalen Revolution‘ reichenden Tätigkeit für die marxistische Presse und gilt als erwiesen, wenn ein Schriftleiter … sich in seiner beruflichen oder politischen
Betätigung als Schädling an Staat und Volk erwiesen hat. (..) 35 Jahre später heißt es in dem von Geiger vorformulierten Berufsverbotsbeschluss: Es geht nicht darum, dass der Beamte wegen seiner Zugehörigkeit zu einer politischen Partei benachteiligt wird. Die Frage ist vielmehr, (…) ob der Bewerber um ein Amt seiner Persönlichkeit nach die Gewähr bietet, jederzeit für die freiheitliche demokratische Grundordnung einzutreten – (…) Ein Stück des Verhaltens, das für die hier geforderte Beurteilung der Persönlichkeit des Bewerbers erheblich sein kann, kann auch der Beitritt oder die Zugehörigkeit zu einer politischen Partei sein, die verfassungsfeindliche Ziele verfolgt, – unabhängig davon, ob ihre Verfassungswidrigkeit durch ein Urteil des Bundesverfassungsgerichts festgestellt ist oder nicht.“

Das ist nicht nur die Rechtsinterpretation eines Altnazis. Das Beamtenrecht selbst mit seiner auf Carl Schmitt zurückgehenden Anforderung, der „Feindbestimmung“, die auch zu erfolgen hat, wenn es keine benennbaren verfassungsfeindlichen Tätigkeiten gibt und die damit geforderte „Gesinnungsprognose“ bietet Geiger dazu die Vorlage. Ein weiterer Aspekt ist ebenso wichtig: Da „Verfassungswidrigkeit“ (die vom Bundesverfassungsgericht festzustellen wäre) nicht mehr von Nöten ist, braucht es eine Instanz, die die nicht näher bestimmte „Verfassungsfeindschaft“ definiert. Diese Instanz ist der Inlandsgeheimdienst mit dem irreführenden Namen „Verfassungsschutz“. Seine Dienste wurden seit dem Radikalenerlass massiv aufgestockt und mit immer weiteren Befugnissen ausgestattet, so dass von dem ursprünglichen Trennungsgebot zwischen Geheimdiensten und Polizei nur noch Bruchstücke auffindbar sind.

Deshalb ist die Aufarbeitung des mit dem Radikalenerlass verbundenen massenhaften staatlichen Unrechts nicht zu trennen von dem Kampf gegen die gesetzlichen Grundlagen im Beamtenrecht. Wem es ernst ist mit der Bekämpfung von Duckmäusertum und Untertanengeist, darf vor diesen gesetzlichen Grundlagen nicht haltmachen. Diese Grundlagen wiederum gehören zur Legitimationsstrategie des sogenannten „Verfassungsschutzes“. Sie werden bis heute immer wieder ins Feld geführt, um zu begründen, warum dieser antidemokratische Geheimdienst trotz aller Naziverstrickungen und Skandale immer noch benötigt werde.

Für Linke bietet sich hier eine Chance, verschiedene Antirepressionskämpfe zu verbinden, die zur Zeit noch weitgehend isoliert geführt werden: Die Bemühungen um eine Aufarbeitung des mit den historischen Berufsverboten verbundenen Unrechts, den Kampf gegen Obrigkeitsstaat und Duckmäusertum und den für die längst überfällige Abschaffung des „Verfassungsschutzes“.

Quelle: Erschienen in der Roten Hilfe Zeitung Ende 2021

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