Wer braucht denn schon Kapitalisten?
Zum Ergebnis der Tarifrunde Metall und Elektro 2021
Am vergangenen Montag (29.3.) vereinbarten die IG Metall und „Metall NRW“ in Nordrhein-Westfalen den sogenannten Pilotabschluss für die Tarifrunde der Metall- und Elektroindustrie in 2021. Am Dienstag darauf folgte dann der Bezirk Baden-Württemberg mit einer weitgehenden Übernahme des Verhandlungsergebnisses und einigen zusätzlichen regionalen Zusatzvereinbarungen.
In den kommenden Tagen werden voraussichtlich in den anderen IG Metall Bezirken Verhandlungen über die Übernahme des Ergebnisses aus NRW geführt werden.
Wir kennen noch nicht das berühmte „Kleingedruckte“. Und wir wissen natürlich, dass die IG Metall erneut unter den sehr schwierigen Bedingungen einer Pandemie mit den Kapitalisten verhandeln musste. Mit Kapitalisten, die bestrebt waren, den „Vorteil“ der erschwerten gewerkschaftlichen Mobilisierung für ihre Klasseninteressen auszunutzen.
Auch wollen wir nicht das sprichwörtliche Haar in der Suppe suchen. Denn wir wissen, dass in tarifgebundenen Unternehmen, die Löhne erheblich besser sind als dort, wo es keinen Tarifvertrag gibt. Aber es ist kein gutes Zeichen, wenn wir bei einem Tarifabschluss erst mal länger nachdenken müssen, um beurteilen zu können, ob mit dem jetzt Ausgehandelten unsere Reallöhne zukünftig steigen werden oder nicht?
Wahrscheinlich tut sich die IG Metall mit komplexen Verhandlungsergebnissen, für dessen Erklärung die Tarifkommissionsmitglieder gegenüber ihrer Belegschaft und den Mitgliedern aufwendige Rechenkünste vollziehen müssen, keine Gefallen. „Unterm Strich“ bleibt immer ein „Gschmäckle“ und der Eindruck, dass man mit der Komplexität des Abschlusses ein mageres Ergebnis kaschieren möchte. Oder auch Angst vor einer weiteren Zuspitzung der Tarifrunde hatte.
Was sind, aus unserer Sicht, die wesentlichen Eckpunkte des Pilotabschlusses aus NRW und der baden-württembergischen Zusatzvereinbarungen?
- 500,- netto als Corona-Prämie für das Jahr 2021
- Eine weitere Einmalzahlung (brutto) in Höhe von 18,4% des Monatsentgelts im Februar kommenden Jahres.
- Und ab 2023 eine neue jährlich wiederkehrende Einmalzahlung (das sogenannte „Transformationsgeld“) in Höhe von 27,6% des Monatsentgelts. Was rechnerisch einer jährlichen Lohnsteigerung von 2,3% entsprechen soll.
- Die Laufzeit des neuen Entgelttarifvertrags ist bis einschließlich September 2022.
- Darüber hinaus soll es die betriebliche Möglichkeit geben, die „Transformationsgeld“ genannte neue jährliche Einmalzahlung – gegebenenfalls auch zusammen mit der in der Tarifrunde 2018 erstreikten weiteren Einmalzahlungen namens „Tarifliches Zusatzgeld“ – in eine kollektive Arbeitszeitverkürzung umzuwandeln. So dass eine Vier-Tage-Arbeitswoche möglich wird. Das soll dazu beitragen, betriebsbedingte Kündigungen zum Beispiel beim Strukturwandel der Autobranche zu vermeiden.
- Es soll ab jetzt einen „Rahmen für betriebliche Zukunftstarifverträge“ geben.
- In Baden-Württemberg werden die Dual-Studierenden (DHBW) in den Geltungsbereich des „Manteltarifvertrag für Auszubildende“ einbezogen.
- Ferner gibt es in BaWü zukünftig eine neue Berechnungsweise des Leistungsentgelts, die „Betrieben hilft Kosten zu senken“.
- … sowie die Möglichkeit, dass die Betriebsräte eine Absenkung des „Weihnachtsgelds“ um bis zu 50% „freiwillig“ vereinbaren können, wenn damit eine „Beschäftigungssicherung“ verbunden wird.
Auf der Homepage der IG Metall wird der Gewerkschaftsvorsitzende Jörg Hofmann nach dem Pilotabschluss in NRW zitiert, dass man „tragfähige Antworten auf die drängenden Fragen unserer Zeit“ bieten würde. Und weiter: „es sei eine Frage der Gerechtigkeit, dass die Krisenfolgen fair verteilt und nicht einseitig bei den Arbeitnehmern abgeladen würden“.
Aber kann es im Kapitalismus überhaupt Gerechtigkeit oder zumindest ein „gerechtes Einkommen“ geben? Natürlich nicht. Denn unsere Klasse wird unter den gegebenen Eigentumsverhältnissen und der „Herrschaft des Marktes“ niemals frei und eigenständig über den von ihr selbst geschaffenen gesellschaftlichen Reichtum verfügen. Geschweige denn die Wirtschaft planvoll nach sozialen und ökologischen Kriterien weiterentwickeln oder die Kosten einer Pandemie wirklich fair verteilen können. Insofern verbindet sich mit dieser und jeder anderen Tarifrunde die zentrale Frage: Wer braucht denn schon Kapitalisten (und ihren Staat)? Die Arbeiter:innenklasse sicher nicht!
Wie ist der Pilotabschluss im Detail zu bewerten?
- 2,3% mehr Lohn auf einen Zeitraum von 21 Monaten ist vor dem Hintergrund der zu erwartenden Inflation voraussichtlich ein (leichter) Reallohnverlust. Wobei das auf den Monat umgerechnete neue „Transformationsgeld“ vermutlich sogar noch etwas weniger als die offiziell genannten 2,3% sein dürften. Denn im Gegensatz zu einer auf die Entgelttabellen bezogenen Lohnerhöhung steigen so nicht das Weihnachts- und Urlaubsgeld sowie der T-Zug/ZUB. Sicher, ein kleines Detail für viele Beschäftigte; aber je größer das jeweilige tarifgebundene Unternehmen ist desto größer die damit verbundene verkappte Einsparung.
- Dass die tarifgebundenen ME-Unternehmen eine sozialabgabenfreie „Corona Prämie“ zahlen werden statt einer regulären Entgelterhöhung ist mehr als schäbig. Insbesondere nachdem man Milliardenbeträge aus der Arbeitslosenversicherung in Form des Kurzarbeitergelds erhalten hat. Und einzelne Konzerne ihre Aktionäre nach wie vor mit hohen Gewinnausschüttungen beglücken.
- Gewerkschaftlich „fair“ wäre eine Entgelterhöhung gewesen, die die Realeinkommen tatsächlich absichert und die IG Metall Mitglieder an den beim „Corona-Nachholeffekt zu erwartenden Gewinnen beteiligt.
- Die jetzt vereinbarte betrieblich mögliche Arbeitszeitverkürzung in Form der Umwandlung von ein oder mehreren jährlichen Sonderzahlungen verringert das Jahreseinkommen natürlich entsprechend. Das heißt die Belegschaft bezahlt gemeinsam für die Vermeidung von Entlassungen. Nicht der Kapitalist; der auch noch die sonst zu erwartenden Sozialplankosten/ Abfindungen bei Entlassungen spart.
Auch wenn vermutlich viele Belegschaften aufgrund der vergleichsweise hohen Einkommen in der ME-Industrie bereit wären, eine solche Regelung im Falle des Falles mitzutragen; damit ihre Kolleg:innen nicht entlassen werden. „Gerecht“ geht anders! Selbst nach „nur“ gewerkschaftlichen Maßstäben. Die von Jörg Hofmann nach dem Pilotabschluss beschriebene „faire Verteilung der Krisenfolgen“ können wir hier nicht erkennen.
- Der neue Rahmen für einen jeweils betrieblichen „Zukunftstarifvertrag“ hört sich toll an. Wer will denn keine Zukunft? Entscheidend ist jedoch der Inhalt des Tarifvertrags. Nicht der Titel. Wir vermuten, im Zukunftstarifvertrag wenig Verbindliches für die „Transformation“ von Industriebetrieben; jedoch den Rahmen für ein sozialpartnerschaftliches Prozedere, dessen Ergebnis nicht zuletzt vom Wohlwollen des Kapitalisten abhängen dürfte. Oder darf etwa zukünftig für die Zukunft eines Betriebes gestreikt und so die „unternehmerische Freiheit“ eingeschränkt werden? Falls ja, nehmen wir unsere Kritik zurück.
Und was ist mit Baden-Württemberg?
In Baden-Württemberg hatte „Südwestmetall“ dummdreiste Forderungen nach Verschlechterung einer Vielzahl von Tarifverträgen gestellt. Inwiefern das Rhetorik war, bleibt offen. Denn es wurden trotz des Säbelrasselns die entsprechenden Tarifverträge nicht gekündigt. Übrigens im Gegensatz zu den Tarifverträgen im KFZ-Handwerk, wo die Kapitalisten wirklich ernst zu machen scheinen.
So lange Tarifverträge nicht gekündigt werden, gibt es aus unserer Sicht keinen Grund auch nur ein einziges Zugeständnis an die Kapitalisten zu machen.
Es ist ein Irrglaube anzunehmen, dass zum Beispiel durch das Entgegenkommen unsererseits beim Wunsch der Kapitalisten nach einem „flexibilisierten“ (sprich betrieblich absenkbaren) Weihnachtsgeld deren Gier befriedigen zu können. „Wölfe, die Blut geleckt haben, werden nur noch gieriger! Nicht lammfromm.“ Oder etwas weniger bildhaft formuliert: nur der erfolgreiche Beweis selbst, unter den Bedingungen der Pandemie einen Arbeitskampf bis zum Ende führen können, wird uns für eine gewisse Zeit „Ruhe“ bringen. Und den Flächentarif stabilisieren.
Die seit dem „Pforzheimer Abkommen“ von 2004 schleichend voranschreitende „Verbetrieblichung“ der Tarifpolitik hat den Geltungsbereich des Flächentarifvertrags nicht mal annähernd stabilisiert. Immerhin ist seitdem die Zahl der tarifgebunden ME-Unternehmen in BaWü um rund ein Viertel zurückgegangen. Insofern sehen wir die IG Metall hier in einer strategischen Sackgasse an deren Ende schlimmstenfalls die Auflösung des Flächentarifvertrags stehen könnte.
Kapitalisten, die keine Angst mehr vor einem Streik in der Fläche haben, brauchen immer weniger einen flächentarifvertragsgebundenen Kapitalistenverband. Wozu auch? Die Nachgiebigkeit von heute ist leider oft die Verbandsflucht von morgen. So schwer es auch im konkreten umzusetzen sein mag, aber die „harte Realität“ ist leider, dass das „Geleitzugprinzip“ in der Tarifpolitik an sein Ende gelangt ist. Zukünftig muss jede einzelne Belegschaft für die Verteidigung des Flächentarifvertrags in der Lage sein, zu streiken!
Natürlich wird das nicht von heute auf morgen möglich werden. Aber tarifpolitischer Tod in Raten ist auch keine Option, die uns begeistert!
Zu den baden-württembergischen Besonderheiten des Tarifabschlusses …
- Eine „veränderte Durchschnittsberechnung bei den Leistungsentgelten, die den Betrieben hilft, Kosten zu senken, ohne dass die Beschäftigten Geld verlieren“ können wir uns auch nicht bei größter Anstrengung vorstellen. Wie soll das gehen? Das wäre ja dasselbe wie eine „Lohnerhöhung, die den Betrieben keine Kosten verursacht“. Aber die gibt´s auch nicht!
Also vermuten wir, dass künftige Berechnung des tariflichen Leistungsentgelts so gestaltet werden soll, dass die kommenden Beschäftigtengenerationen weniger bekommen sollen als nach der bisherigen Berechnung? Naja! „Zukunft“ geht irgendwie anders!
- Aber der dickste Klops ist die „Variabilisierung“ des Weihnachtsgelds. Wenn Betriebsräte zukünftig über tarifliche Sonderzahlungen verhandeln können sollen, dann wissen wir, dass viele Betriebsräte damit überfordert sein werden. Der Kapitalist wird zukünftig regelmäßig (am liebsten ohne lästigen IG Metall Vertreter) selbst Hand anlegen, falls das geplante Renditeziel nicht erreicht werden sollten. Die negativen Seiten des oft beschworenen „unternehmerischen Risikos“ können so den Beschäftigten zugeschoben werden. In Krisenzeiten werden die Arbeiter:innen dann zur Kasse gebeten werden, für Entscheidungen die sie gar nicht beeinflussen können. An dieser Stelle fällt der Abschluss sogar hinter den Pilotabschluss zurück, ohne dass es irgendwelche Zwänge für dieses Zugenständnis gibt. Wieso macht man dann so etwas?
Wollen wir diese Form des „Häuserkampfs ohne Waffen“ wirklich? Und stärkt das unsere betriebliche Verankerung als IG Metall? - Die Aufnahme der Dual-Studierenden in den Manteltarifvertrag für Auszubildende ist ein Erfolg. Aber er wiegt die Abstriche beim Leistungsentgelt und beim Weihnachtsgeld nicht auf! Nicht zuletzt wie die wichtige Frage nach der Übernahme der Dual-Studierenden weiterhin offen bleibt. Ein Recht auf Übernahme nach der Ausbildung? Gibt es nicht! Das dürfte für die meisten „Dualis“ aber mindestens so wichtig sein, wie die Frage, ob der Kapitalist das Monatsticket für die Fahrt zu DHBW zukünftig bezahlt.
Im Osten nichts Neues?
Offen bleibt auch, wie die IG Metall mehr als 30 Jahre nach der angeblichen „Einheit“ Deutschlands die 35-Stunden-Woche in den sogenannten Neuen Bundesländern durchsetzen möchte? Vermutlich wird das nur dann erfolgreich gehen, wenn diese Forderung auch in Westdeutschland als ein „eigenes Thema“ gesehen wird. Bis hin zur Bereitschaft dafür gemeinsam mit den ostdeutschen Kollegen (politisch) zu streiken.
Die Ernsthaftigkeit der IG Metall in der Frage nach gleichen Lebens- und Arbeitsbedingungen in allen Tarifgebieten entscheidet sich an der Frage ob man an der Nicht-Erfüllung einer spezifisch ostdeutschen Forderung ein Verhandlungsergebnis in Westdeutschland scheitern lässt. Oder eben nicht.
Falls man dazu nicht bereit ist, sollte man das den ostdeutschen Kolleg:innen von vorneherein so sagen. Und zugleich eine glaubhafte Strategie zur Stärkung der eigenen Streikfähigkeit in Ost und West erarbeiten bzw. zur Diskussion stellen.
Wiederholt aufgestellte und später doch nicht erfüllte Tarifforderungen schwächen uns nur selbst.
Wie stark sind wir wirklich? Oder „Da fehlt doch jemand …?“
Früher gab es den Spruch, dass bei den Tarifverhandlungen immer drei (!) Parteien am Verhandlungstisch sitzen würden. Einmal die Kapitalisten, dann die Vertreter der Gewerkschaft und dann noch die Angst der Kapitalisten vor dem Sozialismus.
Diese Angst ist vorerst verschwunden. Nicht zuletzt deshalb bröckelt der Grad der Tarifbindung, werden gewerkschaftliche Erfolge in Frage gestellt und von neoliberalen Polit-Marionetten der Wirtschaft versucht, den Sozialstaat abzuschaffen.
Aber das muss nicht so bleiben! Wenn unserer Klasse „aufwacht“, den „Arsch vom Sofa hieft“ und sich bildet und stärker politisch engagiert. Aber auch nur dann!
Die Durchsetzung ihrer Klasseninteressen wird der Arbeiter:innenklasse niemand abnehmen! Deshalb ist es auch unsere Verantwortung, welche Tarifpolitik unsere Gewerkschaft macht. Erst wenn die Kapitalisten wieder Angst haben vor einem großen Streik und auch vor dem Verlust ihrer Macht und ihres Reichtums, werden die Zeiten sich grundlegend verändern.
Deshalb sollten wir sowohl das eine wie auch das andere tun: der kämpferischste Teil der Belegschaft und der Gewerkschaftsbewegung sein (werden), aber zugleich für ein Ende des Kapitalismus kämpfen. Also um die einfache, aber schwer umzusetzenden Erkenntnis, dass unsere Klasse keine Kapitalisten braucht. Aber diejenige gesellschaftliche Kraft ist, und sein wird, die in der Lage ist, eine bessere Gesellschaft zu erkämpfen.