Zur Tarifrunde in der Metall-/Elektro-Industrie
„Das Sicher ist nicht sicher. So wie es ist, bleibt es nicht …“
… schrieb einst der Kommunist Bertolt Brecht. Die Frage ist nur, in welche Richtung sich die Dinge verändern? Und wer entscheidet darüber?! Das gilt für den strukturellen Wandel in der Metall-/Elektro-Industrie ebenso wie für die die Tarifverträge der IG Metall.
Vier Prozent mehr Lohn und die betriebliche Möglichkeit dieses Geld auch für eine „Arbeitszeitverkürzung mit Teillohnausgleich“ verwenden zu können. Sowie einen sogenannten Rahmen für „betriebliche Zukunftstarifverträge zu Investitionen, neuen Produkten und der Absicherung der Beschäftigung“. Das fordert die IG Metall in der diesjährigen ME-Tarifrunde. Wobei allerdings offen bleibt, wie denn genau diese wohlklingenden „betrieblichen Zukunftstarifverträge“ den Kapitalismus zähmen sollen? Mit Sozialpartnerschaft, „guten Argumenten der Betriebsräte“ und Appellen an das „soziale Gewissen“ der Unternehmer werden wir sicher nicht weit kommen!
Last but not least sollen die Unternehmen zukünftig verpflichtet werden alle Ausbildungsmittel für die Azubis komplett zu bezahlen und die Dual-Studierenden endlich in den Geltungsbereich der Tarifverträge einzubeziehen.
Auch wenn das Forderungspaket der IG Metall dieses Mal vergleichsweise vielschichtig ist, ist es doch bescheiden. Nicht nur weil offenbleibt, wie hoch der Teillohnausgleich für die geforderte betriebliche Option zur Arbeitszeitverkürzung denn eigentlich sein soll? Sondern vor allem deswegen, weil es unsere Klasse ist, die den Reichtum dieser Gesellschaft erarbeitet. Nicht die Bosse und ihr Kapitalistenverband „Gesamt-/Südwestmetall“.
Wir wissen: im Kapitalismus wird es keinen gerechten Lohn geben, da die ArbeiterInnenklasse unter den derzeitigen Eigentumsverhältnissen und den sprichwörtlichen „Gesetzen des Marktes“ niemals (kollektiv) über den vollen Umfang des von ihr selbst geschaffenen Werte verfügen kann. Das ist es, was wir „Ausbeutung“ nennen. Und warum wir den Kapitalismus abschaffen wollen!
Insofern ist auch die Debatte – wie sie manche Gewerkschaftslinke gerne führen – darüber, ob es nicht vielleicht doch besser gewesen wäre, fünf Prozent Lohnerhöhung statt nur vier zu fordern, überflüssig. Wir sollten „die ganze Bäckerei“ (und „neue Rezepte“) fordern statt „nur ein Stück vom Kuchen“. Hätte die ArbeiterInnenklasse die Macht im Staat – und nicht die Wirtschaft – könnte sie selber entscheiden und planen, nach welchen sozialen und ökologischen Kriterien z.B. der Umbau der Automobilindustrie, die Zukunft des Maschinenbaus oder auch die Dekarbonisierung der Energieerzeugung organisiert werden sollen.
Niemand braucht Kapitalisten. ArbeiterInnen aber schon. Deshalb ist für uns in der Tarifrunde die Mobilisierung der Belegschaften und der Streik für ein gutes Ergebnis wichtiger als eine möglichst ausgefeilte und „gaaaanz offensive“ Forderung. Oder um einmal den früheren baden-württembergischen IG Metall Bezirksleiter Willi Bleicher zu zitieren:
„10 Pfennig erkämpft sind mehr als 11 Pfennig verhandelt!“
In Kämpfen für ihre gemeinsamen Klasseninteressen beginnen die ArbeiterInnen politisches Bewusstsein zu entwickeln. Das stärkt die Gewerkschaft und zugleich alle die, die mehr wollen als nur einen guten Tarifabschluss. Deshalb lehnen wir lange Laufzeiten von Tarifabschlüssen ab.
Nur im Kampf für seine Rechte und gute Arbeitsbedingungen kann die ArbeiterInnenklasse anhand der eigenen Erfahrungen erkennen, dass der Kapitalismus auf den Müllhaufen der Geschichte gehört.
Selbst der Flächentarifvertrag wird nur dadurch verteidigt, indem man als gesamte Klasse für ihn kämpft. Nicht durch tarifliche Öffnungsklauseln oder immer kompliziertere Tarifabschlüsse mit unzähligen sogenannten „betrieblichen Differenzierungen“. Diese machen die kapitalistischen Wölfe nicht satt oder gar zu zahmen Lämmern, sondern nur noch gieriger. Wie die unlängst vorgetragenen Gegenforderungen des Kapitalistenverbands Südwestmetall beweisen!
Noch kurz vor Beginn der Corona-Pandemie wollte der IG Metall Vorsitzende die Beschäftigung dadurch sichern, dass er den Kapitalisten ein „Moratorium“ anbot. Oder etwas verständlicher formuliert, so dass es auch Nicht-AkademikerInnen verstehen: der IG Metall Vorsitzende, viele weitere SpitzenfunktionärInnen und auch die entscheidenden gewerkschaftlichen Gremien waren der Meinung, dass wenn man den Kapitalisten anbietet, nur eine geringfügige Lohnerhöhung zu akzeptieren, dann würden die im Gegenzug akzeptieren, beim industriellen Strukturwandel weniger Personal abzubauen als sie eigentlich vorhaben.
Wir hielten dieses Angebot bereits damals für wenig erfolgversprechend, wenn nicht gar für gefährlichen Unsinn. Nicht weil wir ausblenden, dass in einer Krise viele Menschen Angst um ihren Job haben und dadurch eventuell weniger streikbereit sind als unter „normalen Umständen“. Sondern weil es das wirtschaftliche System der Kapitalisten ist, welches offenkundig nicht mehr funktioniert. Also soll auch die Klasse der Kapitalisten aus ihrem Vermögen für die Kosten aufkommen! Und ja, es ist genug Geld dafür da! Selbst während der Corona-Krise sind die Reichen reicher geworden. Allein in den ersten sechs Monaten des Jahres 2020 stieg die Zahl der Millionäre in Deutschland täglich(!) um rund 300.
Das heißt konkret für die ME-Tarifrunde: die Forderung nach Arbeitszeitverkürzung – zum Beispiel eine 32 Stunden Woche mit vier Arbeitstagen – ist richtig. Aber besser für alle(!) flächentarifvertrags-gebundenen Betriebe und nicht nur als „Option“. Und natürlich mit vollem(!) Lohnausgleich. Und mehr Personal: damit Arbeitszeitverkürzung Neueinstellungen bedeutet und nicht „schneller arbeiten in kürzer Zeit“.
Sollten wir diese Forderung wenigstens zum Teil durchsetzen, müssten die Betriebe in denen es nach wie vor gut läuft, zusätzlich einstellen. Und dadurch die durch den industriellen Strukturwandel wegfallenden Jobs auf andere Art als die üblich kapitalistische „retten“.
Das von der IG Metall kurz vor Beginn der Corona-Pandemie angebotene Moratorium war die etwas moderner formulierte Variante des „Bündnisses für Arbeit“ aus den 90er Jahren und des uralten Aberglaubens der Sozialdemokratie, dass in Krisensituationen „Lohnverzicht und Zurückhaltung Arbeitsplätze retten würde“. Aber die Kapitalisten und ihr baden-württembergischer Verband wollten nicht nur den kleinen Finger, sondern gleich die ganze Hand. Sie sahen die Gelegenheit gekommen und vielleicht auch die Notwendigkeit die vormals angebotene „Zurückhaltung“ der IG Metall als Anlass zu nehmen, nicht nur keine Lohnerhöhung in der Tarifrunde 2021 anzubieten, sondern aggressive Gegenforderungen aufzustellen. Zum Beispiel einen kompletten Lohnstopp bis das „Vorkrisenniveau“ wieder erreicht sei, die Verschlechterung der Alters- und Verdienstsicherung, die Abschaffung der Erholzeitpause (Steinkühlerpause), der bezahlten Nachtschichtpause, die Verschlechterung der Zuschläge für Spät und Nachtarbeit, die Flexibilisierung des Urlaubs- und Weihnachtsgelds und und und. Der Vorstandsvorsitzende von Stihl nannte diese erkämpften Errungenschaften der IG Metall unlängst „Privilegien“, die abgeschafft gehörten.
Ein ehemaliger Daimler Manager sprach früher einmal bezogen auf unsere Tarifverträge von einer „baden-württembergischen Krankheit“. Was damals allerdings die ArbeiterInnen aus dem Werkteil Mettingen mit einem Protestmarsch über die B10 beantworteten. Vielleicht wäre es heute mal wieder soweit? Zumindest sollten wir uns an die kämpferischen und erfolgreichen Tagesstreiks von Anfang 2018 erinnern! Oder um es erneut mit Willi Bleicher zu sagen:
„Wer Wind säht, wird Sturm ernten!“ Hoffentlich!
Allerdings: solange der Kapitalistenverband nicht die entsprechenden Tarifverträge kündigen, bleibt ihr Verhalten in den jüngsten Verhandlungen mit der IG Metall Baden-Württemberg der dumm-dreiste Versuch, zu verhindern, dass über die ursprünglichen Forderungen der IG Metall geredet wird. Die Nagelprobe für die Ernsthaftigkeit des Angriffs des Kapitalistenverbands Südwestmetall wird sein, ob sie die Tarifverträge noch kündigen werden und damit tatsächlich angreifen.
Wenn sie aber ernst machen, sollten wir kampfbereit sein! Jede Belegschaft! Und insbesondere diejenigen, die in den vergangenen Tarifrunden nach dem ersten Warnstreik gerne „die anderen haben machen lassen“. Oder gleich ganz zugeschaut und gehofft haben, dass ihr Chef später das Verhandlungsergebnis der IG Metall übernimmt.
Klassenkampf heißt als Klasse kämpfen! Nicht wenige kämpfen lassen und selber zusehen und die Daumen drücken! Wir wissen, „wer den Kampf nicht teilt, der wird die Niederlage teilen!“
Insofern sollten wir die IG Metall wieder stärker von Betrieb aus denken. So dass jede(!) Belegschaft streikfähig ist und der Betrieb – auch außerhalb von Tarifrunden – wieder der Ort wird, an dem wir die Angriffe der Kapitalisten zurückweisen können.
Man muss keine HellseherIn sein, um zu ahnen, dass nach der ME-Tarifrunde die nächsten großen sozialen Kämpfe auf uns warten werden. Wenn sich zum Beispiel die Frage stellt, wer denn für die Folgen der Corona-Krise zahlen soll. Wir? Zum Beispiel durch tiefe Einschnitte in die sozialen Sicherungssysteme? Oder die Millionäre und Milliardäre durch eine Corona-Sonderabgabe?
Deshalb setzen wir uns dafür ein, dass die Tarifrunde der Auftakt und die überbetriebliche Klammer wird, für die vielen betrieblichen und politischen Kämpfe, die im Laufe des Jahres folgen werden (müssen). Wenn unsere Klasse ihre Macht erkennt, gibt es niemanden, der ihr Stand halten kann. Deshalb ist „die Gesellschaft in der wir leben“ und „die Gewerkschaft“, das, was wir aus ihr machen.
Als klassenkämpferische Linke, die für eine sozialistische Gesellschaft kämpft, sind wir Teil der Einheitsgewerkschaft IG Metall. Wir sind solidarisch, aber auch kritisch, wenn Dinge nicht richtig sind. Wir gehen in allen Kämpfen gegen die bestehenden Verhältnisse voran. Aber wir wissen auch, dass Gewerkschaftsarbeit kein Selbstzweck ist, sondern Teil des notwendigen Kampfs für eine bessere Gesellschaft jenseits des Kapitalismus!