#ZeroCovid – Klassenkampf und Petition?
An der #ZeroCovid Kampagne ist vieles richtig. Die Feststellung, dass die wirtschaftsfreundliche „flatten-the-curve“ Corona-Politik der Herrschenden in Deutschland grandios gescheitert ist und für die hohen Infektions- und Todeszahlen verantwortlich ist und die anschließende Forderung nach einem solidarischen Lockdown, der natürlich auch die Schließung der Betriebe mitbeinhaltet, ist unterstützenswert. Auch die Forderung besondere Rücksicht auf die vom Lockdown stark betroffenen Personengruppen wie Obdachlose oder geflüchtete Menschen zu nehmen, das Gesundheitssystem aufzustocken, Fallpauschalen abzuschaffen und die Forderung nach der Freigabe der Impfstoff-Patente sind gut und richtig.
Bezahlen will die Kampagne das über „Solidaritätsabgaben“ – sprich Steuern – auf hohe Vermögen, Unternehmensgewinne, Finanztransaktionen und höchste Einkommen. Der Ansatz das Geld bei denen zu holen, die es haben und dank Milliardenschwerer Hilfspakete, auf dem Rücken der Arbeiter*innen, auch noch mehr davon, ist löblich. Diese Forderungen allein sind aber natürlich nicht antikapitalistisch. Vermögensabgaben hat es in Deutschland schon gegeben und sind grundsätzlich nichts, was das Funktionieren des Kapitalismus ins Wanken bringen würde, auch wenn der ein oder andere Eigentümer da anderes behauptet. Genau dort sehen wir aber ein Problem der #ZeroCovid Kampagne. Statt klar zu machen, wer die katastrophale Lage des Pandemiegeschehens zu verantworten hat, wird ein „Wir“ heraufbeschworen, dass es so nie gegeben hat, und auch nicht geben wird. Die Corona-Politik der Bundesregierung ist nicht aus Unfähigkeit geboren, sie folgt einfach nur der Maxime: „Wirtschaft first, Menschen second“. Das ist kein Zufall, sondern liegt im Wesen dieses Systems. Eine linke Antwort auf die Corona-Krise darf nicht dabei stehen bleiben einige kleinere oder größere Verbesserungen im bestehenden System zu fordern, sie muss dabei das System selbst, den Kapitalismus ganz klar als Hauptproblem benennen. Nur außerhalb seiner Profitlogik werden die Forderungen nach einem solidarischen Lockdown, der nicht auf dem Rücken der Arbeiter*innen, der Frauen*, der Wohnungslosen, der Geflüchteten und dem aller anderen Ausgebeuteten ausgetragen wird, umgesetzt.
Kein Staat für uns
Deshalb sehen wir den grundlegenden Ansatz der Kampagne kritisch und auch an wen sie sich letzten Endes richtet: die deutsche Regierung. Also an eben jenen Staat, der die Sicherung des Privateigentums an erste Stelle setzt, ein Staat der einen kompletten Freizeitlockdown veranlasst aber in Großbetrieben wie Tönnies, Amazon und unendlich vielen weiteren „Corona Partys“ erlaubt hat und damit Menschenleben aufs Spiel setzt. Ein Staat, der im Gesundheitswesen Profitmaximierung an erste Stelle stellt und nicht die Gesundheit der Patient*innen oder der Beschäftigen, was sich durch und in der Pandemie nun natürlich besonders zeigt. Warum sollten dieser Staat und seine bürgerlichen Parteien, von heute auf morgen, entscheiden Jahrzehnte des Rechtsrucks rückgängig zu machen? Dass Spitzenpolitiker*innen von CDU, SPD usw. bereit sind tausende Menschenleben zu opfern und sich einer solidarischen Bekämpfung der Corona-Pandemie verwehren, haben sie im letzten Jahr zu Genüge bewiesen. Dieser Staat und seine Akteure haben sich in der Frage Menschenleben oder das deutsche Bruttoinlandsprodukt längst entschieden und sie werden sich auch durch eine breit angelegte Kampagne nicht von etwas Anderem überzeugen lassen.
Viel Verteidiger*Innen der Kampagne betonen, dass es um eine „Diskursverschiebung“ geht. Und dass ist ein guter Ansatz, kamen in den letzten Wochen und Monaten doch entweder nur die Bundesregierung und ihre Berater*Innen zu Wort und die einzige wahrnehmbare „Opposition“ bestand aus schwurbelnden Kleinbürger*Innen. Über öffentlichkeitswirksame Kampagnen können viele Menschen erreicht werden. Doch alles Gute hat sein Schlechtes: In einem bürgerlichen Staat erzeugen Diskurs und Öffentlichkeit auch immer den Eindruck, dass man durch sie etwas wirklich ändern könnte. Das Zulassen und Diskutieren von auch linkeren Positionen gehören mit zum Spiel, „seht her, ihr dürft doch Meinungen absetzen, ist doch alles ok…“
Eine Diskussion ist aber keine Entscheidungsfindung. Entschieden wird woanders, in Gremien und Hinterzimmern. Entschieden wird von Menschen, die jeglicher demokratischen Kontrolle entzogen sind. Entschieden wird immer so, dass es den Eigentümern der größten Konzerne gefällt oder eben nicht grundlegend widerspricht.
Dass müssen wir als radikale Linke immer ehrlich und offen betonen und auch dementsprechend Handeln. An öffentliche Diskussionen sollten wir also vor allem in der Praxis und als Organisierungsperspektive anschließen und dadurch versuchen den Diskurs zu benutzen und nicht als Feigenblatt einer ungerechten Wirtschaftsordnung zu dienen.
Bürgerliche Öffentlichkeit ist ein Feigenblatt
Linke Politik zugänglicher zu machen und radikales Phrasengedresche zu vermeiden, ist wichtig. Unsere Ansätze aber deshalb im Ganzen herunterzudimmen und nur noch Reformen zu fordern, um ja niemanden zu verschrecken, ist aber das andere Extrem. Die Anpassung unserer Forderungen an die kapitalistische Realität wird niemanden dazu motivieren sie zu überschreiten. Deshalb sollten wir gesellschaftliche Perspektiven jenseits des Kapitalismus, wie den Sozialismus, nicht von vorneherein verwerfen. Statt diese aber einfach zu fordern, müssen wir sie mit Praxis und unmittelbaren Kämpfen verbinden. So schlagen wir zwei Fliegen mit einer Klappe – unmittelbarer Aufbau von Strukturen, heißt Organisierung von Menschen und das Präsentmachen einer wirklichen Perspektive.
Wir halten es also für falsch und gefährlich unsere Forderungen an diesen Staat zu richten und zu erwarten, oder zumindest die Hoffnung zu erwecken, dass dieser sie erhört. Fortschrittliche Veränderungen mussten im Kapitalismus schon immer gegen die herrschende staatliche Ordnung erkämpft werden, daran ändert auch eine globale Pandemie leider nichts.
Anstatt auf eine Petition zu vertrauen und das dann als linke Antwort zu sehen, gilt es gerade in der Krise Strukturen aufzubauen, die nachhaltig Druck von unten erzeugen und dort kämpfen, wo die Corona-Krise ihre Auswirkungen hat. Ansätze dafür gab es im ersten Lockdown bereits viele. In ganz Deutschland sind Initiativen aufgetaucht, die solidarisch in Nachbarschaften und Stadtteilen unterstützen wollten und das mit einer radikalen Kritik am Kapitalismus und der Corona-Politik der Herrschenden verknüpft haben. Aber nicht nur in Nachbarschaften gilt es sich zu vernetzen und zu organisieren. Die Betriebe, in denen die Arbeiter*innen tagtäglich ausgebeutet werden, werden in der Pandemie zu Corona-Hotspots und können, wie in Italien oder Frankreich zu sehen war, schnell zu Ausgangspunkten für solidarische Kämpfe von unten werden.
Mit der Klasse – Für die Klasse
Die Betriebe, in denen Menschen quasi zwangsweise zusammengeschlossen und organisiert werden, sollten wir also als eigenes Organisierungsfeld erkennen. Hier meinen wir auch mehr als die übliche alleinige Konzentration bestimmter Teile der Linken auf die Metallindustrie. Jeglicher Arbeitszusammenhang kann von uns genutzt werden, um Probleme und Widersprüche des kapitalistischen Alltags aufzugreifen und mit dem großen Ganzen zu verbinden, von Schweinereien bei Überstunden-, Kurzarbeits- und Pausenregelungen, über Entlassungen oder Stress durch Arbeitsverdichtung bis hin zu Streik- und Tarifkämpfen. Erster Ansatz einer solchen betrieblichen Orientierung können auch die eigenen individuellen Arbeitsplätze sein.
Es ist gut, wenn Linke über die große, aktuelle Lage sprechen. Lockdown, Impfstoffverteilung und Anti-Corona-Strategie beschäftigen Menschen und bestimmen alltägliche Diskussionen und Gedanken. Wir dürfen aber die kleineren, individuelleren Themen nicht vergessen. Denn gerade über diese fangen Menschen an für ihre eigenen Interessen zu kämpfen. Womöglich bieten sie sogar einen direkteren praktischen Zugriff als abstraktere politische Fragen. Und natürlich widersprechen sich diese Ansätze nicht grundlegend und sollten verbunden werden.
Die Kampagne #ZeroCovid deutet in die richtige Richtung, sollte aber weitergetrieben werden. Hören wir also auf von diesem Staat noch etwas zu erwarten.
Organisieren wir uns selbst – in Kämpfen, als Arbeiter*Innen, Frauen* und Migrant*Innen – als Klasse.
Titelfoto: RJZ Zürich