Arbeitszeitverkürzung? Ja! Aber…
Für viele ist der 8 Stundentag eine Selbstverständlichkeit. Doch das war nicht immer so. Früher waren Arbeitszeiten von elf bis vierzehn Stunden keine Seltenheit. Doch der 8 Stundentag wurde von der ArbeiterInnenklasse hartnäckig erkämpft. Ein Ursprung der Auseinandersetzung sind die „Haymarket Riots“ 1886 in Chicago. Dort beteiligten sich mehrere hundertausend ArbeiterInnen an einem Generalstreik mit der Forderung nach einer geregelten Arbeitzeit von acht Stunden am Tag. Auch heute gibt es Diskussionen und Auseinandersetzungen um die Arbeitszeit. Auch wir haben uns ein paar Gedanken gemacht:
Zur bevorstehenden Tarifrunde in der Metall- und Elektroindustrie
Ende August schlug der IG Metall Vorsitzende Jörg Hofmann eine „4-Tage Woche“ in der Metall- und Elektroindustrie vor: Diese Form der Arbeitszeitverkürzung wäre die passende tarifpolitische Antwort auf den Strukturwandel in Branchen wie der Autoindustrie oder dem Maschinenbau. Künftig solle in allen Betrieben der Metall- und Elektroindustrie die „4-Tage-“ bzw. die „33-Stunden-Woche“ eine „Option“ sein, Beschäftigung zu sichern und Entlassungen zu vermeiden.
Jörg Hofmanns Vorschlag zielt also nicht auf eine flächendeckende Arbeitszeitverkürzung in allen Betrieben, sondern lediglich auf eine unter gewissen Bedingungen „aktivierbare“ betriebliche Möglichkeit mit Teil-Lohnausgleich sowie Anreizen, die zusätzliche freie Zeit für berufliche Fortbildung zu nutzen.“
Auch wenn Jörg Hofmanns Vorschlag bei manchen Linken die Erinnerung an kämpferische Tarifbewegungen und die Streiks vergangener Jahre wecken dürfte, ist „Euphorie“ fehl am Platz. Viele Kapitalisten haben wahrscheinlich gar nicht allzu viel gegen eine Reduzierung der Arbeitszeit in Krisenzeiten einzuwenden; solange sie dafür keinen Lohnausgleich zahlen müssen.
So würden sie sich in Baden-Württemberg sogar die Aufzahlung des Kurzarbeitergelds sparen und später möglicherweise teure, mit ihren Betriebsräten zu verhandelnde Abfindungen vermeiden. Und bei dem zu erwartenden Aufschwung nach der Corona-Krise könnten sie ihren Betrieb schnell wieder hochfahren.
Für echte Beteiligung!
Mit den Gewerkschaftsmitgliedern diskutieren statt für sie denken!
Es gibt kaum einen ME-Betrieb für den das nicht gilt; Corona wirkt als Beschleuniger und Verstärker der bereits vorher begonnenen Krise. Deshalb kann auch eine nur zeitweilige Arbeitszeitverkürzung aus Sicht vieler Belegschaften sinnvoll sein. Aber ganz gleich was unsere Gewerkschaft fordert, die Mitglieder überzeugen und damit für den möglichen Kampf mobilisieren wird sie nur, wenn die aufzustellende Forderung das Ergebnis einer intensiven internen Diskussion gewesen ist. Bei Jörg Hofmann Vorschlag mutet es jedoch leider so an, als ob der IG Metall Vorsitzenden die Dinge stellvertretend für die Mitglieder regeln möchte.
Aber wie will er – im Falle des Falles – die Mitglieder für einen Arbeitskampf gewinnen, wenn diese die Tarifforderung sprichwörtlich nur „aus der Zeitung“ erfahren haben?
In der paternalistischen Bevormundung der Mitglieder durch die IG Metall Spitze ist bereits der spätere mäßige Kompromiss, wenn nicht gar die Niederlage im Konflikt mit den Kapitalisten angelegt. Besser wäre mehr Beteiligung und eine innergewerkschaftliche Streitkultur. Diskussionen sind keine Zeitverschwendung und der faire Streit um das beste Argument und die richtige Forderung führt zu Stärke und größerer Geschlossenheit.
Warum ist man hier nicht mutiger? Und schenkt seinen eigenen Mitgliedern mehr Vertrauen, gute und schlechte Vorschläge unterscheiden zu können?
Weniger Leistungsdruck! Mehr Personal! Kürzer arbeiten!
Nicht wenige Mitglieder sind skeptisch, wenn sie die Forderung nach „Arbeitszeitverkürzung“ hören. Nicht etwa, weil sie nicht gerne früher Feierabend machen würden oder in der gegenwärtigen Krise Entlassungen nicht vermeiden würden wollten. Sondern, weil sie wissen, dass sich in nahezu allen Unternehmen in den letzten Jahren die zu leistende Arbeit ungeheuer verdichtet hat. Sie haben deshalb zurecht die Befürchtung, dass eine Arbeitszeitverkürzung beim zu erwartenden Aufschwung nach der Krise dazu führen könnte, dass sie dann das gleiche wie vorher leisten müssten. Nur in kürzerer Zeit und für weniger Geld.
Deshalb fragen wir uns, warum die Forderung nach Arbeitszeitverkürzung nicht zugleich mit der Forderung nach reduzierten Leistungsvorgaben und mehr Personal verbunden wird? Nur dann macht sie Sinn. Und nur dann wird sie in der Breite der Belegschaften mobilisierungsfähig sein.
Und was ist mit der Kurzarbeit und dem Zuschuss?
Sicher ist es besser in der Krise „Stunden statt Beschäftigte“ zu entlassen, jedoch gibt es dafür die Kurzarbeit. Richtig wäre es in diesem Fall die bislang nur in der baden-württembergischen Metall- und Elektroindustrie geltenden Aufstockung des Kurzarbeitergelds zu versuchen bundesweit durchzusetzen.
Eine Forderung nach Arbeitszeitverkürzung macht für unsere Klasse vor allem dann Sinn, wenn sie die Unternehmen, denen es trotz oder auch nach Corona wieder gut geht, dazu zwingt, zusätzliche KollegInnen einzustellen. Jedoch wird langfristig keine noch so ausgeklügelte tarifpolitische Forderung und auch kein Streik allein der Ausweg aus dem kapitalistischen Krisenzyklus sein.
Tarifrunde ist gut! Sozialismus ist besser!
Der der kapitalistischen Krise zugrundeliegende Widerspruch zwischen der gesellschaftlichen Produktion und der privaten Aneignung des von der Arbeiterklasse geschaffenen Reichtums durch eine Handvoll Kapitalisten wird erst dann verschwinden, wenn sich die Produktionsverhältnisse grundlegend geändert haben. Wenn unsere Klasse nicht mehr nur mit gewerkschaftlichen Mittel um einen zeitweiligen Anteil an dem kämpft, was sie selbst geschaffen hat, sondern sie selbst Besitzerin der Produktionsmittel ist; wenn an die Stelle „des Marktes“ eine nach sozialen und ökologischen Kriterien geplante Wirtschaft getreten ist. Deshalb kämpfen wir für beides: eine erfolgreiche Tarifrunde und für eine sozialere Gesellschaft.
Was ist zu tun?
Wichtig ist es, nicht nur die Politik der IG Metall von außen zu kommentieren. Es kommt darauf an, Teil der innergewerkschaftlichen Diskussion zu werden. Und diese Diskussion trotz aller mit Corona verbundenen Einschränkungen in der nötigen Breite einzufordern. In dieser Debatte gilt es alle offensiven, das heißt den Angriff bevorzugenden Positionen zu stärken. Und nicht zuletzt selbst überzeugend in diese Richtung zu argumentieren. Wir haben das Ziel die Positionierung und die Praxis der IG Metall nach links zu verschieben. Konkret könnte dies bedeuten für eine allgemeine, flächendeckende Forderung nach Arbeitszeitverkürzung bei gleichzeitiger Reduktion der betrieblichen Leistungsvorgaben und zusätzlichen Personal einzutreten. Und darüber hinaus ist die bundesweite Übertragung des baden-württembergischen Tarifvertrags zur Kurzarbeitergeldaufzahlung populär zu machen.
Grundsätzlich gilt jedoch, dass Gewerkschaftsarbeit für uns niemals ein Selbstzweck sein kann, sondern vor allem ein Mittel die ArbeiterInnenklasse dafür zu gewinnen, den Kapitalismus in Frage zu stellen und letztlich zu überwinden. Nicht zuletzt deshalb arbeiten wir selbstbewusst in der Gewerkschaft und versuchen, bei jedem sinnvollen Konflikt in der ersten Reihe zu stehen; verschweigen dabei aber niemals unsere Grundüberzeugung, dass nur der Sturz der kapitalistischen Ausbeutung der ArbeiterInnenklasse ihre Freiheit bringen kann.
Für eine kämpferische Tarifrunde und das Ende des Kapitalismus.